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Die Ausstellung umfasste Arbeiten der vergangenen 25 Jahre. 

Einführungsrede von Clemes Ottnad:

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Gisela Rohnke

zurück bis hierher

Atelier 32 – Verein für Kunst und Kultur, Engstingen – Haid 26.06. – 17.07.2022
Eröffnung der Ausstellung am Sonntag, 26. Juni 2022, 11.00 Uhr

 

Wer von uns aufmerksam die Arbeiten von Gisela Rohnke betrachtet, wird sich möglicherweise an die alttestamentliche Gegenüberstellung zweier Propheten im Buch der Könige erinnern. Beim älteren Elia nämlich wird „Leichtes schwer“ und beim jüngeren Elisa – sie tragen beide den fast identischen Namen – wird umgekehrt „Schweres leicht“, ja die betreffende Sequenz (2.Könige, 6, 1–7) lautet im Folgenden sogar: „Bei Elisa wird Schweres leicht. Das Eisen schwimmt und die Arbeit kann weitergehen.“ Angesichts der Materialdrucke, Lithografien, Collagen sowie der plastischen Objekte von Gisela Rohnke aus den letzten 25 Jahren fällt nun beides in eins zusammen: Leichtes schwer und Schweres leicht. Mindestens dann, wenn wir von den konventionellen Vorstellungen absehen, mit denen wir bestimmte Werkstoffe, Materialien, Formen und Farben – wie auch künstlerische Techniken – im Allgemeinen zu verbinden pflegen.

Das wird schon im Eingangsbereich des Atelierhauses am Beginn dieser Ausstellung deutlich. Glatt geschliffene Kalkfindlinge hat die Künstlerin dort kurzerhand auf hochbeinige Stahlstelzen gesetzt und ihnen damit das Fliegen beigebracht. Die Bruchkanten der in die Luft ragenden, abgeflachten Steine wirken dabei so, als seien sie einem größeren Ganzen entnommen, vielleicht sogar mutwillig aus einer Skulptur oder einem anderen Körper herausgebrochen worden. Und obwohl wir vom erheblichen Gewicht der Gesteinsbrocken doch sicher wissen, macht Gisela Rohnke sie leichterhand schier schwerelos. Unwillkürlich müssen wir angesichts des Arrangements, das zusammen mit den sie umgebenden Materialdrucken von der Künstlerin im Übrigen leichtschwer – schwerleicht betitelt ist, an Engelsflügel oder die Flugapparate anderer Luftwesen denken. Und rätseln einen Moment später doch, was wohl mit jenen unsichtbaren einflügelig Gewordenen geschehen ist, denen nun der zweite Teil zum Fliegen fehlt.

Die inständige Befragung von Form und Material zieht sich so durch die gesamte Ausstellung hindurch. Mit bemerkenswerter Experimentierfreude geht Gisela Rohnke dabei offensichtlich vor. Schon früh war sie auf die künstlerische Drucktechnik der Lithografie gestoßen (seit 1980 gehört sie der Arbeitsgemeinschaft Lithografie in Reutlingen an), doch fühlte sie sich durch die Druckform des Lithosteins und Flachdrucks allein zu sehr eingeengt in ihrem bildnerischen Tun. Im Spannungsfeld künstlerisch exakt geplanten Kalküls einerseits und des nicht näher steuerbaren Zufalls andererseits verwendet sie in der Folge verschiedenste Papiere, Folien, fotografische Fragmente, Haushaltsmaterialien, Fundstücke aus dem Müll, die sie verformt, zerknüllt, bügelt, mit Leim und Kleister vermengt, um sie so zu ihren Druckstöcken umzufunktionieren.

 

Angesichts dieser Vorgehensweise und der eigensinnlich verwandten Materialien bleibt aber erstaunlich, dass ausgerechnet Plastik, Kunststoffe und vernutzte industrielle Stoffe Ausgangspunkt der naturhaften Wirkung von Gisela Rohnkes Bildarbeiten sind. Die auf vielerlei Art und Weise bearbeiteten Oberflächen begehren organisch lebendig gegen die geometrisch blockhaften Grundformen auf; sie rascheln und zischen, schwingen sich auf und fliegen davon. Häufig nur in ihrer Grundfarbe Schwarz (mit wenigen andersfarbigen Einsprengseln) gehalten erzeugen die Flecken- und Linienstrukturen den Charakter vielstimmiger tonaler Partituren oder umschlingen als weich lasierende Gewebe die dunkelstarren Körper, die aus Holz, Stein oder Eisen zu bestehen scheinen.

Umgekehrt aber konstituieren sich beispielsweise aus feinstem Holzmehl – eigentlich ja überschüssiger Abfall beim Sägen – unter Hinzunahme von Leim auf Folie und Papieren die wundersamsten Pflanzengebilde hier im Saal. Je nach Holzart im Farbton verschieden, leuchten die rost-rötlichen Erdtöne durch einen fragilen Turmbau hindurch, aus einem seegurkengleichen Ensemble heraus, wabenartig in einen Kasten verbracht, drei zartblättrige Kreiselknospen oder ein riesenhaft aufgefächerter Kaktus, einem sorgsam entstachelten Schwiegermuttersitz (Echinocactus grusonii) nicht unähnlich. Unzählige Male hat hier Gisela Rohnke die einzelnen Schichten mit dem Holzmehl-Leim-Gemisch bestrichen und anschließend minutiös Element für Element aneinandergefügt. Dabei lassen uns diese Arbeiten ganz bewusst im Ungewissen, ob wir es nun mit sehr wohl stabilen Formgefügen oder doch viel eher mit höchst zerbrechlichen Konstrukten zu tun haben, ob sich tierisch-pflanzliche Natur da tatsächlich zu wachsen und zu entfalten anschickt, oder ob wir vielmehr umgekehrt mit vertrocknenden, ausgedorrten und abgestorbenen Relikten derselben konfrontiert sind.

Mit dem Titel „zurück bis hierher“, den sie ihrer Ausstellung verliehen hat, spielt die Künstlerin aber nicht nur auf Orte und Kreislauf des Lebens und das stetige Vergehen von Zeit allgemein an. Indem sie in der aktuellen Präsentation Arbeiten aus ganz verschiedenen Werkphasen und Werkgruppen einander gegenüberstellt, vergewissert sie sich auch jener Konstanten, die über die Zeitläufte und die heterogenen Themenstellungen hinweg ihre Wahrnehmung von Welt und Wirklichkeit sowie deren künstlerische Übersetzung in die ihr eigenen Ausdrucksmedien geprägt haben. Auf diese Weise gerät die Ausstellung so auch zur selbstkritischen Reflexion auf zurückgelegte Wege und Getanes, einer Standortbestimmung zur Jetztzeit und möglicherweise gleichzeitig zu einem hoffnungsfrohen Ausblick auf all das, was da noch kommen mag, Überraschungen, die man sich ganz ungeahnt selbst bereitet hat, nicht ausgeschlossen.

Existenz an sich ist jedoch ohne das gemeinsame Überleben von Mensch, Tier und Natur nicht zu denken. In kleinerformatigen Collagen greift Gisela Rohnke in der jüngst entstandenen Reihe Esche, Ulme, ... (2021/2022) daher beispielsweise die Problematik aussterbender heimischer Baumarten auf. Hochkomplex sind darin Fragmente von Drucken, Fotografien und Folien verschichtet. Die dargestellten Eschen- und Ulmensamen machen auf der einen Seite auf den Ursprung und das Wunder des Lebens aufmerksam, wie rasch der Samenflug neues Leben auf der Erde zu verbreiten imstande ist, die Bildüberlagerungen und grell ausblutenden Farbverläufe weisen auf der anderen Seite auf jene Gefahren hin, denen die vom Menschen bedrohte Natur- und Tierwelt immer und immer ausgeliefert ist.

Nicht umsonst hat Gisela Rohnke in ihrem kleinen, für die Ausstellung zusammen-gestellten Portfolio aus den um 1800 entstandenen Blüthenstaub-Fragmenten von Novalis (eigentlich Georg Philipp Friedrich von Hardenberg 1772 – 1801) zitiert (Und wir denken daran, wie zentral der Begriff des Fragments für die deutsche Romantik war.): „Kommen die fremdesten Dinge durch einen Ort, eine Zeit, eine seltsame Ähnlichkeit zusammen, so entstehen wunderliche Einheiten und eigentümliche Verknüpfungen – und eines erinnert an alles, wird das Zeichen vieler ...“.

Wenn Sie sich also – liebe Gäste, sehr geehrte Damen und Herren – Leichtes als schwer, aber besser noch Schweres als leicht anzueignen gedenken, damit ohne jeden Umschweif alle möglichen Schwerkräfte augenblicklich außer Kraft gesetzt werden, dann befassen Sie sich weiterhin näher mit den Werken von Gisela Rohnke und tauschen sich hier und heute mit der Künstlerin aus. Es entstehen bei dieser Gelegenheit – wie weiland bei Novalis – garantiert wunderliche Einheiten und eigentümliche Verknüpfungen untereinander. Denn mit einer derartigen Experimentierfreude und schier alchimistischen Verwandlungskünsten versehen, macht sie ganz einfach das Eisen schwimmen und die Arbeit kann weitergehen.


Clemens Ottnad M.A., Kunsthistoriker, Stuttgart
Geschäftsführer des Künstlerbundes Baden-Württemberg

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Gezeigt wurden die Arbeiten vom 26. Juni bis 17. Juli 2022 im Atelierhaus •  Verein für Kunst und Kultur, Graf-von-Moltke-Platz 2, 72829 Engstingen-Haid.